Skip to main content

Spektakel auf Sendung

Der ORF bringt die „Super Bowl des Skisports“ weltweit in die Wohnzimmer – und feilt ständig weiter daran, Streif und Ganslern so hautnah wie möglich zu zeigen.

Wenn man eine Abfahrt eigens fürs TV bauen könnte, sollte man sie genau so gestalten wie die Streif“, sagt Michael Kögler. Der Chefregisseur des ORF in Kitzbühel meint, die Strecke sei dramaturgisch schlicht perfekt fürs Fernsehen: der atemberaubende Start mit Mausefalle und Steilhang, die Gleitpassagen im Mittelteil, die bei den knappen Startintervallen noch Raum für Superzeitlupen, Close-ups und dergleichen lassen, der untere spektakuläre Streckenbereich mit Seidlalmsprung, Hausbergkante, Traverse, Zielsprung. Für Kögler sind die Rennen auf der Streif „die Super Bowl des Skisports“, die Arbeit in den Übertragungswagen des ORF für ihn „ein Privileg“.

Sausteile Bilder
„Natürlich scheitern wir wie alle irgendwo daran, die fast vertikalen Eisplatten, die unheimliche Steilheit dieser Strecke, den Speed der Fahrer zu zeigen“, so Michael Kögler. Aber man sei schon „auf sehr hohem Niveau“ unterwegs – Kitzbühel sei die beste Übertragung des Skiwinters. Und jedes Jahr wird weiter daran gefeilt, die Rennen so hautnah wie nur möglich einzufangen. Mit einem Team von über 200 Leuten, mit mehr als 50 Kameras, Drohnen, Kränen und Mikrofonen an der Strecke gibt das Team des ORF beim Spektakel auf der Streif maximalen Einsatz. Die Motivation sei im Dachgeschoß, „da haut sich jeder von uns rein“, attestiert auch Martin Hinterberger, der gemeinsam mit Erwin Sochurek die Produktions­leitung beim ORF innehat.

Michael Kögler, Chefregisseur des ORF in Kitzbühel:

Seit 1984 beim ORF, hat der gebürtige Waldviertler schon so ziemlich alles mitgemacht, was auf sportliche Sendung geht. Auch beim Songcontest 2015 in Wien und bei anderen Showformaten wie „Dorfers Donnerstalk“ hatte Kögler die Bildregie über. Ein solider Ruhepuls ist in seinem Metier Grundrüstzeug, ein hohes Stresslevel Dauerzustand.

„Wenn man eigens fürs TV eine Abfahrt bauen könnte, sollte sie so aussehen wie die Streif.“

Michael Kögler, Chefregisseur

Alles im Blick: Michael Kögler und Team vor der Bildwand im Übertragungswagen 1 des ORF, mit bis zu 60 Monitormöglichkeiten

2015 hat Michael Kögler die Chefregie für die Rennen in Kitzbühel übernommen, mit dabei ist er schon seit 1985. 2015 waren es noch 39 Kameras, dieses Jahr steht man bei über 50 Stück. Mehr als 60-mal hat Kögler zudem mit seinem Team Kamerapositionen verändert, optimiert. „Traditionsshots“ werden gerne beibehalten, jüngste Entwicklungen in der Technik genutzt, das TV-Erlebnis immer weiter zu verfeinern.

In Kitzbühel ist der ORF mit zwei Fernsehübertragungswagen (FÜ-Wagen) vor Ort. Im ersten wird der obere Teil der Strecke vorgeschnitten, während live noch die Bilder des vorigen Läufers aus dem Zielraum, Zeitlupen und dergleichen laufen. Im großen FÜ1, dem Flaggschiff des ORF, ist Michael Kögler in seinem Element. Zu achtzehnt sitzt man dort auf schmalen 50 Quadratmetern. Pausenlos macht er Ansagen an Schnitt, Ton, via Funk an die Kameraleute draußen. Er schnippt mit den Fingern, wählt aus bis zu 60 Bildern an der Monitorwand das eine Livebild aus. Dabei immer die Renndramaturgie im Blick, streng im Rhythmus zwischen Totalen, Close-ups, Publikumsbildern und Superzeitlupen.

Vogelperspektiven
Rechtzeitig für 2022 konnte Kögler die FIS überzeugen, wieder Drohnen zuzulassen. Nachdem eine herabstürzende Kameradrohne 2015 beim Slalom in Madonna di Campiglio um ein Haar Marcel Hirscher abgeräumt hatte, waren Flugaufnahmen während der Rennen jahrelang verboten. Aber technische Weiterentwicklungen, die Gewichtsreduktion der Drohnen, dahinter ein verschärftes Sicherheitskonzept trugen am Ende Früchte. Der ORF kann nun das dritte Jahr in Folge Drohnen auf der Streif einsetzen. Neben Lärchenschuss/Oberhausberg und Traverse wird heuer erstmals auch der Startbereich samt Mausefalle zusätzlich per Drohne gezeigt. Ein besonderes Anliegen Köglers: Unzählige Kranpositionen hat er an der Mausefalle, dem steilsten Streckenabschnitt, mit seinem Team schon ausprobiert – nie konnte er dabei ganz den eigenen Ansprüchen gerecht werden. Die Abfahrer sind für Michael Kögler die „am meisten unterschätzten Sportler der Welt“. Zu zeigen, was sie in Kitzbühel wirklich leisten, wie viel Risiko sie nehmen müssen, ist ihm ein echtes Anliegen.

Herantasten: Mit Kreativität, Perfektionismus und technischen Innovationen ans Ziel

„Da steckt viel Herzblut drin, da haut sich jeder rein.“

Martin Hinterberger, Produktionsleiter des ORF

Wetter- und andere Kapriolen
Witterungsbedingt kann im Skisport naturgemäß alles passieren – auch das ein Faktor, der maximalen Einsatzwillen der Crew verlangt. Sprintabfahrten von der Seidlalm, um 6 Uhr Früh wird der Zielbereich notgedrungen auf den Oberhausberg verlegt – das und vieles mehr hat man schon erlebt und alles kurzfristig umgesetzt. Das funktioniert natürlich nur, wenn das Team wie in Kitz mit „Herzblut“ dabei ist, sagt Martin Hinterberger. Seit 40 Jahren beim ORF Sport und seit Anfang der 2000er in Kitz dabei, erinnert er sich auch an eine Episode, als ein Kabelbrand in einem der beiden FÜ-Wagen die Übertragung kurz ins Wanken brachte. Nachts sei damals ein Team aus Wien mit einem Ersatzwagen gekommen – selbst diese Widrigkeit hat man am Ende gut gemeistert.

Der ORF übernimmt als Host Broadcaster auch die Betreuung aller anderen TV-Stationen vor Ort, versorgt diese mit Presenter-Positionen, Licht und anderer Technik – und fungiert auch als Troubleshooter, falls plötzlich Probleme auftreten.

Neben Abfahrts- und Slalomrennen zeigt der ORF donnerstags schon das Abfahrtstraining – auch eine Reihe von anderen Sendungen wie „Sport am Sonntag“ (live aus dem Rasmushof) kommen aus der Gamsstadt. Und die Bilder vom Rennen auf der Streif gehen um die Welt: 20 bis 30 Stationen übernehmen das Livesignal des ORF.

Zukunftsmusik
Michael Kögler tüftelt indes bereits an der nächsten Innovation: Er will die Athleten mit kleinen Mikros ausstatten, um so noch näher dran zu sein an dem, was sie auf der Streif durchmachen. „Auch das wird bald möglich sein“, ist er sich sicher.

Martin Hinterberger, Produktionsleiter beim ORF:

Unter anderem für budgetäre Planung und Redaktion verantwortlich, leitet Hinterberger gemeinsam mit Erwin Sochurek (Technik) die Produktion des ORF in Kitzbühel. Seit vier Dekaden beim Sport, hat er bis hin zum Kabelbrand im Ü-Wagen alles erlebt – und dabei noch für jedes Hoppala eine Lösung gefunden.

Mit mehr als 50 Kameras fängt der ORF das Hahnenkamm-Wochenende für die Zuseher vorm Fernseher ein.

Foto: Roman Zach-Kiesling, Michael Rathmayr, Lea Lipovac