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Das Mindset zum Sieg

Um an der Weltspitze mitmischen zu können, braucht es nicht nur körperliche Bestform – viele sportliche Siege wurden bereits im Kopf entschieden. Welche Rolle mentale Stärke auf der Piste spielt und wie sich die Skistars auf den Wettkampf vorbereiten, weiß Sportwissenschaftler und Mentaltrainer Dr. Patrick Bernatzky.

Durchatmen, visualisieren, fokussieren – kaum ein Athlet, der heute beim Hahnenkamm-Rennen an den Start geht, befasst sich nicht mit Mentaltraining. Denn eine falsche Entscheidung, ein negativer Gedanke kann auf der Streif durchaus das Aus bedeuten. Aber wie behält man bei einem Ereignis dieser Größenordnung die Nerven? „Bei der Abfahrt geht es um die Balance zwischen dem Respekt vor der Strecke und dem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Und dabei versuchen wir, die Athleten achtsam zu unterstützen“, erklärt Dr. Patrick Bernatzky, der seit 2006 unter anderem Athleten des ÖSV unterstützt.

Angst, Zweifel und Stress seien in gewisser Weise normal und könnten sogar nützlich sein, um noch präsenter zu sein. „Jeder Sportler zweifelt. Wenn er nicht zweifeln würde, würde er sich auch nicht weiterentwickeln“, so der Experte. Genau das sei auch Ziel des Mentaltrainings: an ein stetiges Wachstum der eigenen Fähigkeiten zu glauben. Damit man in jeder Störung auch eine potenzielle Chance sieht, sich weiterzuentwickeln. Außerdem brauche es den Wettkampfstress, um ein gewisses Level zu erreichen, auf dem man eine gute Performance abliefern kann.

Beim Hahnenkamm-Rennen 2023 bewies der Norweger Aleksander Aamodt Kilde Nervenstärke und holte sich trotz gebrochener Hand bei der Abfahrt den Sieg.

Sich selbst regulieren

Bei einem Wettkampf sind die Sportler über den Tag hinweg mit vielen potenziellen Störfaktoren konfrontiert. Laut Bernatzky gelinge es jedoch den guten Athleten, im Hier und Jetzt zu bleiben und die Störung zwar zu erkennen, sich von ihr aber nicht ablenken zu lassen. „Der Sportler weiß, dass er selbst die Kontrolle hat und etwas regulieren kann. Abhängigkeiten minimieren und Selbstwirksamkeit erhöhen ist daher mein oberstes Credo als Mentaltrainer.“

Visualisierungsstrategien und Konzentrationstraining sind Methoden, um die Sportler auf den Wettkampf vorzubereiten. „Wir nutzen mentales Training, um daran zu arbeiten, Gedanken länger zu halten“, erklärt Bernatzky. Eine ganz einfache Form sei beispielsweise das Ruhebild. Dabei denkt man an einen Ort, egal ob real oder imaginiert, den man mit Ruhe verbindet. „Wenn ich nun lerne, meine Konzentration länger auf diesen Gedanken zu halten, kann das damit Verbundene anfangen zu wirken, und so habe ich die Möglichkeit, das Gefühl der Ruhe jederzeit wieder abzurufen.“

Bei der ersten Abfahrt 2023 lag der Österreicher Vincent Kriechmayr vorn, doch verschiedene Störfaktoren machten es dem Athleten in diesem Jahr schwer.

Ursache und Wirkung

Teil des mentalen Trainings kann auch sein, klare Zielsetzungen zu erarbeiten und den Athleten bewusst zu machen, dass Gedanken, die mit Erwartungen verbunden sind, eine Wirkung auf die sportliche Leistung haben. „Wir unterscheiden dann zwischen dem ergebnisorientierten und dem prozessorientierten Denken. Für manche Sportler ist es zum Beispiel nicht förderlich, wenn sie nur die erwünschte Platzierung im Kopf haben. Dann sollte man besser auf Hier-und-Jetzt-Gedanken switchen und mehr das Gefühl und das Handeln im Vordergrund haben“, führt der
Experte aus.

Wie sieht die Strecke aus? Wie mache ich meine Bewegungen? Mit welcher Haltung gehe ich an den Start? Denn auch die Körpersprache wirkt sich auf das Mindset aus.

Ein Selbsttest: Strecken Sie die Arme nach oben und nehmen den Blick mit. Stellen Sie sich vor, Sie schauen durch die Decke bis zum blauen Himmel, wo die Sonne scheint. Und sagen Sie nun mit einem Lächeln im Gesicht: Wow, heute ist nicht mein Tag!

„Bei der Abfahrt geht es um die Balance zwischen dem Respekt vor der Strecke und dem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.“

Dr. Patrick Bernatzky ist an der Universität Salzburg im Fachbereich für Sport und Bewegungswissenschaften in der Abteilung Sportpsychologie tätig. Als Geschäftsführer des Österreichischen Bundesnetzwerks Sportpsychologie setzt er sich dafür ein, Verbände für die angewandte Sportpsychologie zu sensibilisieren und diese zu implementieren. Zudem ist er auch praktisch als Mentaltrainer tätig, unter anderem beim ÖSV im alpinen Bereich der Herren.

Laut Medienberichten sagte der Franzose Cyprien Sarrazin nach seinem Sieg beim Hahnenkamm-Rennen 2024, er sei mit Herz und Köpfchen gefahren.

Das fühlt sich vermutlich falsch an, denn manche Gesten sind bereits mit bestimmten Gedanken­gängen verknüpft. „Es macht also Sinn, nicht mit hängenden Schultern herumzulaufen und sich einzureden, man sei gut drauf. Sondern ich werde stattdessen die Körpersprache mit einbauen und nutzen, um Entschlossenheit zu signalisieren – nach innen und nach außen.“

Sensibles Konstrukt

Letztlich gibt es zahlreiche Methoden, Techniken und Ansätze, mit denen Mental Coaches arbeiten. Wie die einzelnen Trainingssessions aussehen, sei sehr individuell und hänge meist von der Zielsetzung ab. „Man kann sich das mentale Gerüst wie ein Mobile vorstellen: Wenn du an einem Bereich arbeitest, hat das immer auch Auswirkungen auf alle anderen Bereiche“, so Bernatzky.

Viele Techniken aus dem Sportbereich könne man zudem fast eins zu eins im Alltag übernehmen. „Schließlich haben wir alle Challenges, auf die wir uns vorbereiten, sei es eine schwierige Prüfung oder ein wichtiges Gespräch mit dem Chef.“ Der Sportwissenschaftler glaubt daran, dass in jedem Menschen das Entwicklungspotenzial steckt, mit mentalen Herausforderungen umzugehen. Es hänge lediglich davon ab, wie gut sich der Trainer beziehungsweise die Trainerin auf die Person einstellen kann.

Fotos: WWP/Studio Fasching (2), WWP/Studio Fasching/BregenzAuxtria privat