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Interview

Wir haben uns nicht einmal gestritten

Es ist tatsächlich sein erstes Mal. Harti Weirather betritt das Museum in Kitzbühel. Was für ein Glück, dass er gerade an diesem Tag auf einen Mann trifft, der wie kein anderer die Geschichten über dieses altehrwürdige Haus im neugestalteten Kleid erzählen kann. „Was, du woast no nia bei uns im Museum?“, so Michael Huber, seines Zeichens Präsident des Kitzbüheler Ski Clubs (K.S.C.), sichtlich erstaunt.

Und wer sich nun fragt, was dieser kulturelle Ort mit dem sportlichen Club zu tun hat, der bekommt eine überraschende Antwort. Gleich beim Eingang des Museums hatte nämlich der K.S.C. früher seine Heimat. „Ein kleines Büro mit einem Kleiderkasten als Dokumentenschrank“, erinnert sich der Präsident, der damals als Generalsekretär wirkte. Heute führt eine moderne Treppe hinauf in die verschiedenen Ausstellungsräume.

Einer davon erzählt die Historie der weltbekannten Sportstadt Kitzbühel, die selbst Harti Weirather zum Staunen bringt. Schließlich zählt er als Veranstalter des KITZ-RACE-Clubs – oder wie Michael Huber es nennt, des „Sieben-Sterne-Zelts“ – zu den langjährigen Kitzbühel-Kennern.

Seit 25 Jahren verbindet die Sportmarketing Agentur WWP und den K.S.C. eine Kooperation, die man durchaus als außergewöhnlich bezeichnen darf.

Im Jahr 2009 wurde der Kitzbüheler Dr. Michael Huber einstimmig zum Präsidenten des Kitzbüheler Ski Clubs (K.S.C.) gewählt. Zuvor fungierte der Sportwissenschaftler als Generalsekretär für den traditionsreichen K.S.C. Huber ist auch als Chef des Organisationskomitees des Hahnenkamm-Rennens eine bekannte Persönlichkeit im Skisport.

Aus der Kooperation zwischen dem K.S.C. und der Sportmarketing Agentur WWP ist in all den Jahren ein Event der absoluten Weltklasse geworden. Welches Erfolgsgeheimnis steckt dahinter?

Harti Weirather: Ich glaube, es ist ähnlich wie früher im Spitzensport. Es sind die Leidenschaft, die akribische Arbeit und natürlich die Risikobereitschaft, die dazu beigetragen haben.

Michael Huber: Wir müssen das noch einmal anders sehen. Das ist wie eine Liebesbeziehung. Es geht darum, ob die Chemie stimmt, und das weiß man innerhalb einer Zehntelsekunde. Ich war damals Generalsekretär, als mir Peter Schröcksnadel Harti Weirather vorgestellt hat. Ich habe ihn ja nur als Skirennfahrer gekannt. Unsere Aufgabe ist und war die Organisation des Rennens.

Für das sportliche Drumherum wurden vom K.S.C. ab den 1970er-Jahren unterschiedliche Agenturen engagiert. Was hat sich in dieser Zeit verändert für den K.S.C.?

Michael: Diese Beziehungen haben nie ganz gepasst. Ja, und dann ist Harti ins Spiel gekommen. Und da war dieses Miteinander. Man braucht einen gemeinsamen Nenner, bei uns ist das der Bezug zum Sport. Wenn du aber nur ans Geld denkst, wird das nie etwas werden. Du musst zuerst das Produkt haben, und wenn das stimmt, kannst du es vermarkten. Harti hat neue Ideen eingebracht.

Welche Veränderungen hat diese Kooperation für den K.S.C. gebracht?

Michael: Ich möchte die Gefühlsebene einbringen, und da geht es um Respekt und Ehrlichkeit, das ist für mich ganz entscheidend. In den 25 Jahren haben wir nicht einmal gestritten, uns angelogen oder gemauschelt. Wir haben nie ein Spiel gespielt, es gibt keinen Neid, keine Gier. Wenn Harti nur aufs Gewinnmaximieren aus wäre, dann hätten wir ein Problem, und so ist es auch umgekehrt. Natürlich gehört auch ein Handwerkszeug dazu, wir müssen wissen, wie wir die Strecke präparieren, und er muss wissen, wie man das Rennen vermarktet. Da mischt sich keiner beim anderen ein. Wir lachen immer, wenn eine Agentur daherkommt mit einer Power-Point-Präsentation von dreißig Seiten und nichts steht drauf. Mit dem komme ich nicht weiter, wir sind beide Praktiker mit Hausverstand.

„Es geht darum, ob die Chemie stimmt, und das weiß man innerhalb einer Zehntelsekunde.“

Im Jahr 2009 wurde der Kitzbüheler Dr. Michael Huber einstimmig zum Präsidenten des Kitzbüheler Ski Clubs (K.S.C.) gewählt. Zuvor fungierte der Sportwissenschaftler als Generalsekretär für den traditionsreichen K.S.C. Huber ist auch als Chef des Organisationskomitees des Hahnenkamm-Rennens eine bekannte Persönlichkeit im Skisport. 

Die Partnerschaft zwischen dem K.S.C. und WWP besteht seit über einem Vierteljahrhundert. Wenn ihr euch an die Anfänge zurückerinnert und euch den Event heute anschaut – was hat sich gewandelt?

Harti: Es hat sich fast alles verändert. Wenn ich an die Rennfahrer denke, da hat sich alles extrem zum Positiven gewendet. Man braucht sich nur an die gefrorenen Strohballen am Rand erinnern, allein der Gedanke lässt mich heute noch erschauern. Heute ist vom Start bis ins Ziel die ganze Strecke professionell abgesichert, die passive Sicherheit ist gewährleistet. Und wenn man weiß, welche Möglichkeiten die Rennfahrer jetzt am Start haben, die haben sogar Räder zum Aufwärmen. Wenn sie besser aufgewärmt sind, passiert auch weniger. Die Rennfahrer verdienen jetzt auch ein gutes Preisgeld und die Zuschauer können das Rennen vom Start bis ins Ziel mitverfolgen, überall stehen Videowände mit den Infos.

Michael: In den 25 Jahren hat sich äußerlich alles verändert, innerlich nichts. Innerlich brennt noch immer das gleiche Feuer. Wenn Harti ab Weihnachten jeden Tag in Kitzbühel anruft und wissen will: Ist es kalt, schneit es?, dann ist das etwas, was er auch vor 25 Jahren schon gemacht hat.

Wer Skirennen veranstaltet und organisiert, muss unheimlich leidensfähig sein, du musst Nerven aus Stahl haben, als Organisator und als Rennläufer.

Zwei, die sich gut verstehen: Harti Weirather (l.) und Michael Huber (r.) verbindet eine ganz spezielle Beziehung, aufgebaut auf Respekt, Ehrlichkeit, fern von Neid und Gewinnmaximierung. Beide setzen lieber ihren Hausverstand ein als sich mit seitenlangen Power-Point-Präsentationen zu beschäftigen. Zwischen den beiden stimmt die Chemie. Das war schon von Beginn an das Erfolgsgeheimnis dieser Kooperation zwischen der Sportmarketing-Agentur WWP und dem Kitzbüheler Ski Club.

Bei anderen Sportarten gibt es nur die Frage: Wer gewinnt? Beim Skirennen, speziell beim Hahnenkamm-Rennen, geht es um mehr: Wer gewinnt? Findet es statt? Wo starten sie? Wo ist das Ziel?

Harti: Ich kann mich erinnern, vor vielen Jahren waren wir bis 2 Uhr Früh beim Sponsorenabend und es hat geschüttet. Für mich war klar, ich kann mich ins Bett legen und an nichts denken, weil morgen ist hundertprozentig kein Rennen. Als ich am Morgen aufgewacht bin, war draußen strahlender Sonnenschein und blitzblauer Himmel. Wir hatten eines der schönsten Rennen. Unglaublich, aber es kann sich minütlich alles verändern.

Mit welchen Herausforderungen wart ihr zu Beginn des Events konfrontiert?

Harti: Es gab eine Anhäufung von Hoppalas. Damals mussten wir derart viel Neuland betreten! Bis man in jedem Bereich die besten Lieferanten findet, das geht nicht von heute auf morgen. Es war alles quasi handgestrickt. Wenn ich zurückdenke, wie rudimentär anfangs gekocht worden ist, und heute sind wir professionellst ausgestattet für 1.500 Leute. 

Neben der ernsthaften Auseinandersetzung, einen Event auf höchstem Niveau zu etablieren, hat es doch sicher auch einige Hoppalas gegeben.

Harti: Es hat natürlich lustige Geschichten gegeben. Beim Charity-Rennen sind oft Wirtschaftsgrößen mitgefahren. Sie haben sich akribisch vorbereitet, sich eingefahren, Strecken abgesteckt und sind dann vor lauter Nervosität am ersten Tor vorbeigefahren, weil Tausende zugeschaut haben.

Hat es eine Portion Mut gebraucht, dem K.S.C. die Idee eines elitären Zelts im Ziel als gute Idee zu verkaufen?

Harti: Wenn ich so zurückdenke, muss ich den Hut ziehen vor Peter Schröcksnadel, dem damaligen K.S.C.-Präsidenten Christian Poley und vor Michael Huber. Man muss sich das vorstellen: Da kommt ein ehemaliger Skifahrer und hat eine verrückte Vision. Was müssen sich die gedacht haben? Harti hat zwar super Ideen, aber wie soll das gehen? Wie soll man ein Zelt aufstellen im Zielraum, wo ja ein Golfplatz ist? Wer soll das zahlen? Die drei haben mir da einfach vertraut. Vielleicht haben sie sich gedacht, der Narrische, der komplett Verrückte, schafft das ja vielleicht.

„Vielleicht haben sie sich gedacht, der Narrische, der komplett Verrückte, schafft das ja vielleicht.“

Als Abfahrtsspezialist schrieb der Reuttener Harti Weirather in den 1980er-Jahren Geschichte: Er gewann den Abfahrtsweltcup, wurde Weltmeister und war der Allerschnellste auf der Streif. 1987 beendete er seine sportliche Karriere und gründete gemeinsam mit seiner Frau Hanni Wenzel die Sportagentur WWP. 

Wenn man als Athlet elfmal bei der Abfahrt beim Hahnenkamm-Rennen angetreten ist und trotz starker Schneefälle die Streif erstmals unter zwei Minuten bezwungen hat – ein Streckenrekord, der zehn Jahre gehalten hat –, bleibt diese Euphorie dann auch über die Jahre erhalten?

Harti: Ich habe viele positive Gefühle mitgenommen, aber auch viele problematische Emotionen. Ich habe schon mit 28 Jahren aufgehört und mir vielleicht viele Verletzungen erspart. Aber eigentlich war ich zum Aufhören noch nicht reif, habe aber schon mit dem Vermarktungsgeschäft angefangen. Viele, viele Jahre habe ich einen Alptraum gehabt. Ich stehe im Starthaus, es kommt der Pieps und in diesem Moment checke ich, dass ich gar nicht trainiert habe. Ich muss sagen, auch heute noch, wenn ich im Starthäusl drin bin, ist das zwar ein schönes, aber auch ein mulmiges Gefühl. 

Michael: Auch ich habe viele Jahre einen Alptraum gehabt: Es ist Hahnenkamm-Samstag, strahlend blauer Himmel, der Schnee glitzert vom Berg herunter. Es ist angerichtet, wie es so schön heißt. Und kein Zuschauer kommt, nicht ein einziger, ich stehe mutterseelenallein auf der Tribüne eine halbe Stunde vor dem Start.

Die Erfolge bringen den Athleten nicht nur Ruhm und Ehre, sondern auch eine Gondel mit dem eigenen Namen drauf. Wie fühlt es sich an, in einer persönlich gewidmeten Gondel zu fahren?

Harti: Ich muss sagen, das ist die allerbeste Idee überhaupt. Es ist die größte Ehre für einen Sportler, das ist einfach wirklich das Höchste. Leider kommt es nicht oft vor, dass ich mit der eigenen Gondel fahre, weil es ja Zufall ist, dass man gerade diese erwischt.

Er hat das erreicht, von dem alle Athleten, die sich die Streif hinunterstürzen, träumen: Harti Weirather siegte 1982 am Hahnenkamm mit einem Streckenrekord, den er zehn Jahre lang hielt. Es sei für jeden Rennläufer das Größte, hier in Kitzbühel ganz oben auf dem Siegertreppchen zu stehen, sagt er, und dennoch ist er froh, früh genug dem aktiven Skirennsport den Rücken gekehrt zu haben. Das sei wohl auch der Grund, warum er sich keine schweren Verletzungen zugezogen habe, meint der ehemalige Abfahrtsspezialist.

Die Streif schreibt nicht nur im Winter Geschichte. Es gibt da eine Bäuerin, die in den Sommermonaten ihr Gemüse im Zielhang anbaut, dort wo im Winter die Athleten um den Sieg kämpfen. Michael, es soll sogar schon vorgekommen sein, dass du beim Bestellen des Kartoffelackers mitgeholfen hast. Wie funktioniert die Verbindung des berühmtesten Rennens der Welt mit einer nachhaltigen Bio-Landwirtschaft?

Michael: Einmal bin ich mit einem Journalisten dienstlich essen gegangen, unter der Bedingung, dass ich das Menü aussuchen kann. Von der Rindsuppe übers Gemüse, das Gulasch und das Wasser bis hin zum Schnaps waren alle Zutaten von Landwirtschaften, die vom Start bis zum Ziel angesiedelt sind. Wir haben also
alles gegessen, was in Rufweite zur Streif gewachsen und gereift ist. 

Das heißt, ein Streifzug ist im Winter gefährlich und herausfordernd und im Sommer gesund und nachhaltig?

Michael: Am Hahnenkamm wird eine Almwirtschaft betrieben und bis vor wenigen Jahren haben wir dort noch mit der Sense gemäht. Man muss es schaffen, ein Rennen auf die Beine zu stellen und die Strecke so zu hinterlassen, dass man im Frühjahr nichts mehr davon sieht, dass im Winter 100.000 Leute da waren. Früher konnte man da gar nicht wandern. Heute haben die Leute im Sommer die größte Freude, auf den schönen und gepflegten Wanderwegen unterwegs zu sein. Auf diese Nachhaltigkeit sind wir schon sehr stolz.

Mit der stetigen Weiterentwicklung geht auch ein Wandel einher, der genau geplant werden muss. Auf welche Veränderungen können wir uns freuen?

Harti: Die jungen Mitarbeiter bei WWP beschäftigen sich intensiv mit der Frage, wie man auch die jungen Leute für das Hahnenkamm-Rennen begeistern kann. Da wird sicher viel Neues entstehen und wir hoffen natürlich, dass unsere Ideen gut angenommen werden. Die Entwicklung ist ja enorm, die Jugend ist am Handy und man bekommt sie von den digitalen Geräten nicht mehr weg. 

Wie sieht das Hahnenkamm-Rennen im Jahr 2050 aus?

Harti: Da plagen einen schon Sorgen, wie es mit der Klimaerwärmung weitergeht. Ich bin aber trotzdem optimistisch, dass es möglich sein wird. Ich glaube, dass es in einem ähnlichen Ausmaß wie heute stattfinden wird. Wie es dann schlussendlich wirklich ist, kann man sich heute nicht vorstellen. Vor 25 Jahren hat das auch alles anders ausgeschaut und alles hat sich verändert. Ich glaube, der Kampf Mann gegen Berg, der wird immer noch der gleiche sein. Es wird immer noch eine riesige Herausforderung für die Athleten sein, und das spürt auch der Zuschauer.

Michael: Wir haben jetzt das 83. Rennen, im Jahr 2030 wird das 90. stattfinden. Ich war skeptisch, ob wir wetter- und klimatechnisch das 75. Rennen schaffen. Ich vergleiche das mit dem Formel-1-Rennen in Monte Carlo. Man hat schon vor vierzig Jahren gesagt, es ist nicht mehr möglich, mit der Geschwindigkeit durch die Stadt zu fahren. Bei uns ist es das Gleiche. Eigentlich ist die Streif nicht mehr fahrbar, und doch beweisen wir jedes Jahr wieder, dass es geht. Die Strecke ist geeignet für Lederschuhe und Holzski und wir fahren immer noch. Es ist eine Sensation, dass wir diese Weiterentwicklung geschafft haben. Denken wir an das 90. Rennen im Jahr 2030. Wenn wir das hinbekommen, ist das schon völlig verrückt. Und das 100. Rennen wäre 2040, das ist unvorstellbar.

Harti: Das müssen wir schaffen!

Lieber Michael, lieber Harti, vielen Dank für das Gespräch.

Foto: Franz Oss, Werek/Süddeutsche Zeitung Photo