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Interview

„Aufhören, wo der Skisport zu Hause ist“

Beat Feuz beendete mit dem letztjährigen Hahnenkamm-Rennen seine Karriere. Das war eine bewusste Entscheidung. Er wollte in Kitzbühel aufhören – beim, wie er sagt, „größten Rennen der Welt“. 

Daniel Albrecht

Beat Feuz

Der im Tiroler Oberperfuss lebende Schweizer ist ehemaliger Skirennfahrer. Der Weltmeister und Olympiasieger schaffte es bei Weltcup-Abfahrten insgesamt 47-mal aufs Podest – ein Rekord. Im Jänner 2023 beendete er seine Karriere. Er ist unter anderem für das Schweizer Fernsehen tätig. 

Sie gewannen Ihr erstes Kinderrennen im Alter von sieben Jahren. Letztes Jahr verabschiedeten Sie sich vom Profisport. Können Sie uns erzählen, was bei Ihnen dazwischen emotional so alles passiert ist?
Dazwischen waren knapp 30 Jahre pure Emotion. Passiert ist relativ viel: Angefangen in der Jugend, dem Kampf, besser zu werden, in die Kader zu kommen, zu den Weltcups, von Verletzungen zurückzukommen, in der Weltspitze zu bleiben. Es gab viele Niederschläge – körperlich, emotional und mental. Aber dadurch, dass danach immer wieder gute Resultate kamen, war es natürlich auch einfacher, wieder aus den Tiefs herauszukommen. Meine Karriere war eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Aber alles war sehr schön und sehr gut. 

Früh in Ihrer Karriere kam es zu mehreren Verletzungen. Wie sind Sie als junger Athlet damit umgegangen?
Am Anfang denkt man natürlich, da geht die Welt unter nach einer Verletzung, aber irgendwie funktionieren Körper und Kopf so, dass man so schnell wie möglich wieder zurückkommen möchte. So schöpft man die Kraft zu arbeiten, damit die Verletzung wieder ausheilt, dass man gestärkt wird. Das ist dann ein Prozess, wo man sich reinbeißen kann, der sich aber gänzlich vom sonstigen Trainingsalltag unterscheidet. Verletzungen passieren und sind nie etwas Schönes. Sie ziehen einem immer ein bisschen den Boden unter den Füßen weg. 

Sie wollten im Laufe Ihrer Karriere auch ungern über Ihr linkes Knie sprechen.
(lacht) Genau. Ich habe so viele Jahre Interviews gegeben und es fiel so gut wie nie die Frage, wie es mir geht, sondern oft nur, ob ich Schmerzen im Knie habe und ob ich für das nächste Rennen auch ja fit sein werde. Ich habe irgendwann gesagt, dass ich das so gut wie möglich ausblenden möchte. Und das geht eigentlich nur, wenn ich nicht groß darauf eingehe. 

Wenn ich dann bei einem Rennen Probleme mit dem Knie hatte, habe ich etwas anderem die Schuld gegeben, um das dann ja nicht zum Thema zu machen. Für mich persönlich war das richtig und wichtig so. 

Nach zwei schweren Verletzungen in der Jugend haben Sie sich entschieden, auf die schnellen Disziplinen zu setzen – und hatten mit dieser mutigen Entscheidung Erfolg. Gab es da bei Ihnen ein Erweckungserlebnis?
Mit 20 hat sich bei mir abgezeichnet, dass die schnellen Disziplinen wie die Abfahrt schon ohne viel Training relativ gut funktionieren. Das war aber noch weit weg von irgendeiner Weltspitze. Nach zwei Verletzungen, einmal Kreuzbandriss und einmal Meniskus, bin ich erst mit 22 wieder zum Trainieren gekommen. Im Slalom konnte ich den anderen nicht mehr das Wasser reichen. Bei der Abfahrt aber war ich trotz zweijähriger Abstinenz immer noch konkurrenzfähig. Meine Leistung nahm mir quasi die Entscheidung ab und ich ließ mich von den Verletzungen nicht entmutigen. 

Die Streif faszinierte Beat Feuz zeit seiner Karriere – irgendwann durfte er die goldene Gams sein Eigen nennen. 

Der Hahnenkamm spielte in Ihrer Karriere immer wieder eine wichtige Rolle. Sie fuhren dort zum ersten Mal einen Top-10-Platz ein, hätten nach einer Verletzung 2017 dort eigentlich den Sieg holen sollen, sind dann aber im Netz gelandet. Sie erreichten viermal den zweiten Platz und gewannen das Rennen schlussendlich 2021 und 2022. Was bedeutet das Rennen für Sie?
Noch bevor man dort zum ersten Mal an den Start geht, ist Kitzbühel einfach ein Name mit Gewicht. Es ist das bekannteste und das spektakulärste Rennen. Als junger Skifahrer fährt man da hin und trägt dieses Wissen im Gepäck. Dann steht man zum ersten Mal oben am Start und denkt: ‚Wie soll das jetzt funktionieren?‘ So etwas hat man vorher noch nie erlebt. Dann fährt man hinunter und denkt sich: ‚Das ist schon cool.‘ Ich als Abfahrer denke das zumindest. Es ist anstrengend, aber cool. 

Ich habe mich dann sehr schnell wohlgefühlt auf der Strecke. Meine Fähigkeiten kamen dort gut zum Vorschein. 2017 habe ich dann gedacht, dass der Sieg fällig ist. Ich habe selbst gespürt, dass ich der Beste am Berg war. Dann kam mein blöder Fehler und ich landete im Netz. Der Zufall wollte es dann so, dass ich vier zweite Plätze holen musste, bevor ich endlich triumphieren konnte. 

Zweite Plätze sind auch gut. Die sind schön. Das will ich nicht schlechtreden. Nach zwei zweiten, oder spätestens nach drei, wollte ich aber mehr. 2021 und 2022, als es mir insgesamt dreimal gelang, war die Erleichterung schon groß. 

Haben Sie je an den Streif-Fluch geglaubt? Oder anders gefragt: Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie zum vierten Mal in Kitzbühel Silber geholt haben?
An einen Fluch habe ich nicht geglaubt, ich bin nicht abergläubisch. Ein paar Fluchwörter habe ich auf der Streif aber schon ausgepackt. Nicht unbedingt wegen der zweiten Plätze, sondern wegen der Stürze oder kleineren Fehler. Es war auch Pech im Spiel. 2019 hatte ich den Sieg angepeilt, beim Rennen kam dann aber Sonne ins Spiel und die Strecke veränderte sich. Ich konnte mich weniger gut als andere anpassen. Das hat mich natürlich geärgert. An einen Fluch in dem Sinne habe ich aber nie geglaubt. Ich konnte mir immer erklären, wo ich die Hundertstel verloren hatte, die mir später fehlen würden. 

Was macht die Streif aus Ihrer Sicht aus?
Es gibt sicher anstrengendere Strecken. Rein körperlich gesehen. In Kitzbühel kommt aber vieles dazu: der Mythos, die Rennhierarchie – es ist das größte Rennen –, die Leute rundherum, das Unmittelbare: Der Bahnhof ist
200 Meter vom Ziel weg, das gibt es sonst nirgendwo. Wie das Rennen aufgebaut ist, oben der steile Teil, unten mit der Traverse. Es gibt so viele herausragende Athleten, die dort an ihre Grenzen stoßen. Also, es ist das höchste und das größte Rennen. Es ist aber körperlich nicht unbedingt das schwierigste Rennen. 

Was ist Ihre Lieblingserinnerung an die Streif?
Als ich das erste Mal in Kitzbühel an den Start gegangen bin, sagte ich zu meinem damaligen Trainer, dass ich dieses Rennen irgendwann einmal gewinnen möchte. Er sprach mir Mut zu und meinte, dass er mir das schon zutrauen würde. Als ich dann 2020 tatsächlich gewann, war er nicht mehr mein Trainer. Aber das Erste, was ich tat, war ihm eine Nachricht zu schreiben. Daran erinnere ich mich immer gerne zurück. 

„Werde ich bei den Weltmeisterschaften Vierter, bin ich der erste ‚Löli‘. Werde ich aber in Kitzbühel in meinem letzten Rennen 29., ändert das nichts an meiner Karriere.“ War das der einzige Grund, warum Sie sich für einen Schlussstrich beim Hahnenkamm-Rennen entschieden haben?
Die Entscheidung traf ich nicht selbst, sondern wir als Familie gemeinsam. Als klar war, dass ich aufhören möchte, gab es zwei bis drei Varianten. Die Klassische: Einfach das Ende der Saison abwarten. Das hätte geheißen, in Andorra beim Weltcup-Finale zum letzten Mal anzutreten. Ich wollte aber lieber dort aufhören, wo der Skisport zu Hause ist. Das wäre in der Schweiz oder in Österreich der Fall, also standen noch Wengen oder Kitzbühel als Optionen offen. Die zwei sind für mich die größten Rennen überhaupt. Das habe ich zeit meiner aktiven Karriere immer auch in Interviews gesagt. Und als Schweizer und Wahltiroler sind beides eigentlich Heimrennen für mich. Ich habe dann gesagt, dass ich Wengen und Kitzbühel noch mal als Fahrer erleben möchte. Noch einmal vor einem vollen Stadion. Die zwei Jahre zuvor waren coronabedingt immer etwas ruhiger gewesen. 

Eine Weltmeisterschaft oder eine Olympiade sind natürlich auch groß. Für mich und die Familie waren aber die zwei Rennen die beste Variante. 

Haben Sie sich erhofft, in Wengen oder in Kitzbühel noch etwas zu holen, sich womöglich mit einem Sieg zu verabschieden? 
In Wengen schon. Da wollte ich noch mal Gas geben. In Kitzbühel war ich mir aber ziemlich sicher, dass es nicht mehr möglich ist. Es ist Kitzbühel. Man muss da 100 Prozent auf Risiko gehen. Am Schluss war ich dazu auch nicht mehr bereit. So wie ich ein Trottel gewesen wäre, bei der WM Blech zu holen, wäre es in Kitzbühel blöd gewesen, im Netz zu landen. Es war gut so, wie es war. 

Sie spielen Tennis, sind Vater von zwei Kindern und haben eine beeindruckende Karriere hinter sich. Wie fühlt sich das an als 36-Jähriger?
Gut. Mit dem Rücktritt, muss ich sagen, ist eigentlich auch eine große Last von mir gefallen. Es wird nicht mehr jede Woche etwas erwartet von mir. Man kann die Zeit mit seiner Familie daheim genießen, mit Kollegen Tennis spielen, andere Sachen unternehmen. Das ist wirklich toll. 

Der Wechsel vom Profisport in den Ruhestand ist Ihnen also überraschend leichtgefallen?
Ich glaube schon. Vor allem deswegen, weil ich selbst entschieden habe, dass meine Karriere zu Ende ist. Es war weder eine Verletzung noch waren es schlechte Resultate, die mich dazu gezwungen hätten. Dadurch ist mir das einfacher gefallen. Jetzt nach einem Jahr bin ich immer noch sehr glücklich und zufrieden mit der Entscheidung.

Fotos: Falkensteiner Hotels & Residences, WWP/Stefan Zauner, WWP/Hans Bezard Ferrogasse