Zum Hauptinhalt springen

DOPPELINTERVIEW

Der Taktgeber und das Naturtalent

Hahnenkamm-Rennleiter Mario Mittermayer-Weinhandl lernte Skiprofi Linus Straßer kennen, als dieser gerade einmal sechs Jahre alt war. Er erkannte sofort das große Talent des jungen Müncheners. Jahrelang trainierte er Straßer, der 2024 den Slalom in Kitzbühel gewann, bis heute verbindet sie eine Freundschaft – und noch immer lernen sie voneinander.

Sie beide verbindet mittlerweile eine langjährige Beziehung. Was sind Ihre ersten Erinnerungen aneinander?
Mario Mittermayer-Weinhandl: Ich werde den Tag, an dem der sechsjährige Linus über den Ganslernhang hinuntercarvte, nie vergessen. Sein Vater bat mich, Linus vorfahren zu lassen, ich war damals seit zwei Jahren Kindertrainer beim Kitzbüheler Ski Club. Und dann kommt da ein Sechsjähriger – bei jedem Schwung perfekt auf der Kante – daher. Das wird mir immer in Erinnerung bleiben.

Linus Straßer: Eine meiner ersten Erinnerungen ist, wie Mario mit seinem blauen Audi ankommt und mit Zipfelmütze am Kopf aussteigt. Er ist mit uns Kindern viel im Gelände gefahren. Dieses Bild, wie er vorfährt – links, rechts, links, rechts, wie ein Taktgeber –, ist bis heute in meinem Kopf präsent. Ich kann mich aber auch tatsächlich an den Tag des Vorfahrens gut erinnern. Damals verstand ich natürlich noch nicht, was das heißt – Vorfahren.

Mario: Ich wollte nie von vorneherein nein sagen, wenn Eltern mich baten, ihre Kinder vorfahren zu lassen. Linus’ Familie stammt ja aus München. Oft passierte es, dass die Eltern selbst schnell erkannten, dass die einheimischen Kinder, die quasi täglich auf den Ski standen, ihren Sprösslingen überlegen waren. Bei Linus war das anders – sein Talent war offenkundig.

Wie sieht Ihre Beziehung heute aus? Sind Sie noch wichtig füreinander?
Linus: Wir haben nach wie vor Kontakt. Wie das bei richtig guten Beziehungen so ist, geht es nicht darum, wie oft wir uns hören. Ab und zu telefonieren wir zweimal in der Woche, dann wieder zwei Monate gar nicht. Aber wenn wir uns hören, haben wir uns immer viel zu sagen. Skifahren ist auch nicht unser einziges Thema – mit Mario kann man über Gott und die Welt reden.

Mario: Das sehe ich wie Linus, uns verbindet eine enge Freundschaft. Ich frage ihn auch zu verschiedenen Themen nach seiner Meinung. Linus hat oft einen sehr individuellen Blickwinkel.

„Ich werde den Tag, an dem der sechsjährige
Linus über den Ganslernhang hinuntercarvte, nie vergessen.“

Mario Mittermayer-Weinhandl, Hahnenkamm-Rennleiter, Ex-Trainer von Linus Straßer

Was glauben Sie, warum Sie so erfolgreich zusammenarbeiten konnten? Was macht eine gelungene Trainer-Athleten-Beziehung aus?
Linus: Das Wichtigste ist, dass man sich auch nonverbal versteht, das Zwischenmenschliche muss passen. Bei Mario wusste ich, was er denkt, ohne dass er es aussprechen musste. Ich war immer und bin bis heute ein instinktiver Skifahrer. Mario verstand das sofort und hat es gefördert.

Mario: Die Chemie zwischen uns stimmte einfach von Anfang an, wir mussten nie groß reden, um uns zu verstehen. Aus der Sicht des Trainers geht es vor allem darum, den Weg des Athleten zu begleiten – auch, wenn es mal nicht nur bergauf geht. Als Trainer musst du an deine Schützlinge glauben und sie wiederum müssen dir vertrauen.

Herr Mittermayer-Weinhandl, woran erkennt man, dass man ein großes Talent auf Ski sieht? Vor allem, wenn es sich um ein so junges Kind handelt?
Mario: Linus ist als Sechsjähriger mit perfekter Carvingtechnik über den vor allem für Kinder nicht leichten und auch langen Hang gefahren. Er hatte auch keine Angst. Das klingt wie ein Klischee, aber ihm wurde das Talent einfach in die Wiege gelegt.

Am 21. Jänner 2024 gewinnt Linus Straßer den Slalom in Kitzbühel – an dem Ort, wo gewissermaßen der Grundstein zu seiner späteren Karriere als Skiprofi gelegt wurde.

Herr Straßer, wie kam es zur Spezia-lisierung auf Slalom?
Linus: Das entsteht stückweise, ich kann das für mich nicht an einem konkreten Zeitpunkt festmachen. Wenn du Skiprofi werden willst, musst du einfach am Ball bleiben, viele hören zwischen 14 und 18 Jahren auf. Im Europacup zum Beispiel, da kannst du zwar große Erfolge feiern, bekommst aber wenig Aufmerksamkeit dafür. Ich glaube, ich kann im Riesenslalom Ähnliches leisten wie im Slalom und will in dieser Saison in dieser Disziplin auch mehr Rennen fahren.

Setzen Sie sich Ziele für die aktuelle Saison? Und wie groß ist die Vorfreude auf Kitzbühel?
Linus: Ziele kann man ja eigentlich nur an Ergebnissen fest­machen, an Faktoren, die man selbst in der Hand hat, die man beeinflussen kann. So sehe ich das heute, das war ein Lernprozess für mich. In diesem Sinne: Ich will das Material optimieren und noch konstanter werden. Natürlich wäre es ein Traum, bei der WM eine Medaille zu holen.

Mit Kitzbühel, ganz ehrlich, verbindet mich eine Hassliebe. Hass, weil der Erfolg dort lange nicht gekommen ist, ich es vielleicht zu sehr gewollt habe. Liebe, weil Kitzbühel für mich Heimat ist. Im vergangenen Jänner dort den ersten Platz im Slalom zu holen, das war ein unglaubliches Gefühl. Und – ich will es so sagen – Platz für eine zweite Gams hätte ich schon noch.

Der 32-jährige Straßer ist Spezialist in den Disziplinen Slalom und Riesentorlauf. In Ersterer feierte er die größten Erfolge, auf Letztere will er sich in der laufenden Saison vermehrt konzentrieren.

„Dieses Bild, wie Mario vorfährt – links, rechts, links, rechts, wie ein Taktgeber –, ist bis heute in meinem Kopf präsent.“

Linus Straßer, Skiprofi, Kitzbühel-Sieger Slalom 2024

Herr Mittermayer-Weinhandl, fiebern Sie mittlerweile als Freund mit oder schaut immer noch der Trainer zu
Mario: Mittlerweile schaut hauptsächlich der Freund zu. Es stimmt schon, der Trainer ist nie ganz weg – du sitzt vorm Fernseher auf der Couch und meinst, es besser zu wissen. Ich freue mich mit ihm, wenn er besonders gut ist, ärgere mich mit ihm, wenn er Zeit liegen lässt. Ich bin begeistert, wenn er Erfolge feiert, aber noch mehr bedeutet mir, dass ich ihn auf diesem sportlichen Weg ein Stück weit begleiten durfte.

Herr Straßer, gibt es noch heute Tipps und Techniken, die Sie bei Ihrem ehemaligen Trainer gelernt haben und noch heute anwenden?
Linus: Keine ganz konkreten, aber einen für mich sehr wichtigen – das Skifahren selbst. Das ist meine große Stärke, die ich oft ausspielen kann. Marios Überzeugung, dass es für angehende Profis wichtig ist, jeden Tag auch frei Skifahren zu gehen, auch im Gelände – davon zehre ich bis heute, dazu hat er einen großen Beitrag geleistet.

Vielen Dank für das Gespräch.

Fotos: WWP/Studio Fasching (3), dsv SkiDeutschland, privat